22. und 23.November – 1. Teil - Das endlose Band der Langeweile


Claudia und ich überlegen permanent, ob wir langsam alt werden.

Unsere Begeisterungsfähigkeit ist massiv eingeschränkt, bzw. wird nicht so animiert. Daher sind wir die ganze Zeit am Grübeln, ob wir entweder so verwöhnt sind oder es hier wirklich öde ist.

Ich erklär mal das Dilemma.

Gestern kommen wir hier an und sind auf dem großen Platz die einzigen Camper. Draußen vor dem Zaun feiern die A-People (Aborigines) ihre übliche "Was-bin-ich-voll-und-aggressiv-Party".

Das heißt: Frauen schreien ununterbrochen rum, Kinder weinen und die Kerle drehen sinnlose Runden mit ihren schrotten Opels... ääähh... Holden (austr. Version von Opel) bis in die Nacht.

Und ich rede hier von einer Straße mitten im Nichts.

Sowohl 25km vor, als auch hinter dem Campingplatz, gibt es kein Zeichen von Leben an der Straße. Daher stellt sich die Frage:

Wo kommen die her?...und wie kommen die mit besoffenen Kopp nach Hause?

Da sind wir auch gleich am nächsten Punkt:

Mal rechts oder links vom Highway abbiegen ist nicht gerade zu empfehlen. Nicht nur wegen der Straßenverhältnisse, sondern auch weil man für eine Fahrt ins A-People-Land ein extra Visum braucht, eine PERMIT.

Dementsprechend fällt wild Campen für uns aus, weil wir einfach Schiss haben. Bisher war vor jedem Campground am Abend High-Life in Dosen mit Feuer, Prügelei, Sauferei und Schreierei

Wir sind mittlerweile von unseren schwarzen Brüdern sehr genervt. Schon am Tag fängt das an.

Willste was einkaufen, trottet vor Dir grundsätzlich ein hyperpigmentiertes, alkoholisiertes Gemeindemitglied, das den Weltrekord in Nichtduschen hält.

Das zurückbleibende olfaktorische Wunderwerk steht minutenlang im Raum, obwohl der Kollege schon den Laden verlassen hat.

Vielleicht entwickeln die hier aber auch eine Art körpereigenes Pfefferspray, das nach dem ersten Atemzug, den Gegner ausknocken soll. Ich möchte behaupten, die sind mit der Entwicklung kurz vor der Serienreife.

Nun denn, hat man sich dann wieder erholt, kommt der nächste Schock, wenn man etwas zum Erwerb zur Kasse schleppt. Es ist einfach sauteuer. Das bezieht sich nicht auf Fleisch und Barbecue-Artikel, aber der Rest schon.

Will man dann etwas Essen gehen, hat man den nächsten Fehler gemacht. Hier darf sich jeder Mensch in die Küche stellen und deshalb sind die Beilagen zu einem Steak auch wirklich nur als Dekoration zu verstehen.

Beim Steak sollte man darauf achten, dass es auch wirklich Medium ist. Hier scheint Medium mit dem Deutschen "well-done" vergleichbar zu sein. Deshalb bestelle man lieber "Medium-Rare".

Ebenso bekommt mein Auge nervöse Zuckungen, wenn mir 20,- Dollar für die Übernachtung auf einem Parkplatz in einer Ameisen- und Mücken-Aufzuchtstation abgenommen werden.

Trottel, der ich bin, frage ich nach den Übernachtungspreisen in sog. "Cabins" (Metallkiste mit einem Bett und Klimaanlage).

Mit dem Hinweis, auf die völlige Überbuchung, teilt man mir beiläufig den Schnäppchenpreis von 79,-Dollar mit. Der Preis ist an sich ja schon unverschämt, aber jetzt mal ohne Spaß: WIR WAREN DIE EINZIGEN GÄSTE AUF DIESEM VERF...... CAMPINGGROUND!!!!!!

Das sind so die Erlebnisse, die man in der Zivilisation macht. Also…das, was der durchschnittliche Northern-Territorianer für Zivilisation hält.

Demnächst muss ich noch einen Kleinkredit für unseren folgenden Besuch im Pub aufnehmen.

Pro Bier (und ich meine eine 0,33 Flasche ohne Glas) haben wir noch nie unter 5,- Dollar hingelegt, eher sieben. Mein nächster Rausch findet mit Sicherheit nicht auf australischem Territorium statt, sonst muss ich Claudia auf die Straße schicken.

Jetzt kommen wir zur Landschaft. Das ist wirklich Land, das einen schafft.

Stellt Euch folgendes vor: Ihr setzt Euch morgens um sechs vor eine Fototapete mit dem Motiv: "Winsen/Luhe Einkaufspassage am Sonntag um 18.00 Uhr". Davor bleibt Ihr bis abends um sieben sitzen.

Jetzt wisst Ihr, wie sich die Kilometer auf dem Stuart-Highway anfühlen.. und das vom ersten Kilometer an.

Willst Du Dir Erleichterung verschaffen und machst eine Pause an einer der seltenen Sehenswürdigkeiten, weißt Du nicht, ob Du lachen oder weinen sollst.

So wird in allen Reiseführern der "Stuart-Tree" in Daily Waters erwähnt.

Höchstwahrscheinlich hat der glücklose Mr. Stuart, dem das Land, den Stuart-Highway und noch viele andere nach ihm benannte Straßen zu verdanken hat, vor einiger Zeit, das gemacht, was jeder Mensch mit obstipatorischen Beschwerden macht: Er hat sich beim Sch..... gelangweilt und mit seinem Messer ein "S" in die Fichte vor ihm geritzt.

Für diese kaum sichtbare Hinterlassenschaft, die aus einer Notdurft entstanden sein muss, reisen Trottel, so wie Claudia und ich, mehrere 100 km und fragen sich, ob nicht schon der eine oder andere Australische Bildhauer daran arbeitet, eine Statue von mir und meiner Frau zu erschaffen, die uns beim kollektiven Urinieren an einen Termitenhügel kurz vor Mataranka zeigt.

Das ist jetzt kein Scherz!

Denn am Straßenrand stehen im Abstand von ca. 70 km sogenannte "Memorials", mit denen an besondere Ereignisse in der Geschichte dieses Landes gedacht werden soll. Z.B. die heldenhafte Leistung eines Viehtriebs von 1000 Rindern nach Some-Springs unter Verlust von lediglich 5 Stück Vieh (Kein Scherz!).

Da würde ich mich in Männeken-Pissstellung am ausgestorbenen Termitenhügel doch ganz gut machen, oder?

Am Anfang der Reise habe ich mich gefragt, warum die anderen Touristen sich im Eiltempo von einer großen Sehenswürdigkeit zur nächsten karren bzw. fliegen lassen.

Jetzt weiß ich’s:

Ist die Ehe nicht zu 100 % in Takt, besteht die Gefahr, dass man den Partner irgendwo zwischen Daily Waters und Some-Springs beim Pinkeln in der Wüste vergisst oder ihn etwas nördlicher zum Baden im Swimmingpool der Salzwasserkrokodile animiert.

Warum reden eigentlich alle immer nur über die großen Kreaturen, die einem hier nach Körpersäften trachten?

Keiner hat uns von der australischen Fliege erzählt, die sich wenig zurückhaltend auf alle feinen und unfeinen Körperöffnungen stürzt und dort nicht zu vertreiben ist.

Während die europäische Fliege ein wenig respektvollen Abstand hält, fliegt das australische Miststück im Maximalabstand von 5 cm zum Körper um einen herum und versucht einem mit ihren zehn Schwestern vorzugsweise in die Nase, in die Augen oder in den Mund zu kriechen.

Das ist für die Fliege nicht ganz einfach, weil sie sich den Flugraum ab 18.00 Uhr mit den Mücken zu teilen hat, die sich ähnlich anhänglich benehmen.

Das Fussvolk unter den Insekten ist nicht minder aktiv. Wie jemand auf die Idee kommt, hier zu zelten, ist mir schleierhaft.

Während auf dem Stuart Highway soviel Auto-Verkehr wie in einer verkehrsberuhigten Sackgasse Kappelns herrscht, ist auf dem Boden bei den Insektens jederzeit Rushhour.

Hier gibt es nicht einfach nur Ameisen..... Neeeeiiiinnn!....hier gibt es kleine rote, große rote, kleine rote mit grünem Hinterteil, kleine rote mit schwarzem Hinterteil, das ganze noch mal in groß, in Schwarz und dann gibt es Termiten mit ähnlichen Farbschattierungen, Hüpfer, Falter, Heuschrecken, Spinnen, Schlupfwespen, Raupen, Käfer, Kakerlaken und alles in allen Farben und Größen.....und alle wollen sie an Dir hoch krabbeln.

Wer kommt da auf die Idee, ein Zelt aufzubauen?

Wir sind jedenfalls froh, dass der Kontakt unseres Bettes mit dem Erdboden auf die vier schwarzen Reifen beschränkt ist.

Während im Insektenreich die Welt in Ordnung und bevölkert ist, fährt der mittlere Europäer mit weit aufgerissenen Augen durch die Städte... ähh...Dörfer... Ansiedlungen... Wellblechsammlungen...

So wird Katherine im "Lonely Planet", wie folgt beschrieben: "Neben Darwin, Alice Springs und Tennant Creek ist Katherine die einzige Stadt von einer gewissen Größe ... in den letzten Jahren ist die Einwohnerzahl (6.720) rapide angestiegen ... Katherine ist seit langem ein wichtiger Haltepunkt. Denn der Fluss an dem die Stadt liegt und nach dem sie benannt wurde, ist die erste permanente Quelle für fließendes Wasser nördlich von Alice Springs"...

Von den 6.720 Einwohnern müssen 6.000 in Wellblechhäusern wohnen. Es dominieren hohe Zäune verwilderte Gärten und das ohrenbetäubende Zirpen von Zikaden. Diese Viecher hört man selbst noch bei geschlossenem Fenster bei Tempo 130 im fahrenden Fahrzeug und denkt: Der Reifen verliert hörbar Luft.

Die Einkaufsmöglichkeiten dieser Stadt ziehen sich entlang des Stuart Highways und haben den Charme eines amerikanischen Straßendorfs in der Nähe von Detroit zur Zeit der großen Wirtschaftsdepression.

Im Backpacker-Hostel "Kookaburra-Soundso-Lodge" schafft es der Mann an der Rezeption, sich während unser 47 Sekündigen Unterhaltung viermal am Sack und 6 mal unter den Achseln zu kratzen. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass Haarschnitt und Rasur jedem Berber in Hamburg zur Ehre gereicht hätte.

...Mein Gott! Und dafür bin ich 17.000 km geflogen!

Im zweiten Teil, der morgen ausgestrahlt wird, bemühe ich mich einer positiveren Sichtweise und es werden wieder reichlich Bilder gezeigt.